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Donna Grantis - Gitarristin

Gitarristin Donna Grantis ist eine Kanadierin mit makedonischer Abstammung. Sie spielte für den letzter Woche verstorbenen Prince in seiner "All Girl" Live Band, unter anderem trat sie auch für die Bands 3rdEyeGirl und The New Power Generation auf.  Beide Großeltern väterlich-seits stammen aus der Kostur Region und mütterlich-seits aus der Kostur und Lerin Region in Ägäis Makedonien, heutiges Nordgriechenland. Donna ist in Kanada geboren und aufgewachsen, in ihrer Karriere gab sie auch Konzerte in Skopje so z.B. auf dem 15. Blues und Soul Festival. Facebook Homepage

Der makedonische Dichter Nikola Madzirov


Die Geschichte ist die erste Grenze


Ein sich als Weltbürger verstehender junger Mann – Nikola Madzirov. (Bild: Thomas Kierok)


Schriftsteller aus Mazedonien sind dünn gesät, und kaum einer weiss, was die mazedonische Kultur ausmacht. Eine Chance, diese näher kennenzulernen, bietet die Lektüre der Gedichte von Nikola Madzirov. Der 1973 in Strumica geborene Autor macht seit einiger Zeit in der internationalen Lyrikszene Furore.

Jan Koneffke
Wir begegneten uns zum ersten Mal im August 2003 an den «Tagen für Poesie und Wein» im slowenischen Medana nahe der italienischen Grenze. Da es in dem kleinen Dorf keine Pension gab, wurden die aus allen Himmelsrichtungen angereisten Dichter in Zwei- bis Dreibettzimmern der örtlichen Bauernhäuser untergebracht. Der Makedonier Nikola Madzirov, damals dreissig Jahre alt, war der eine meiner Zimmergenossen. Der andere stammte aus Kroatien und erfüllte das Klischeebild des Balkanpoeten. Er war überaus herzlich, lustig, laut, chaotisch und sprach mit Begeisterung dem guten Wein zu, der in Medana das Honorar ersetzte. Dagegen wirkte sein jüngerer, ex-jugoslawischer Landsmann umso auffallender nachdenklich, still und zurückhaltend.
Nikola Madzirov erwies sich rasch als äusserst angenehmer Mensch. Er hatte etwas Sanftes an sich und stand stets leicht gebeugt vor mir, mag sein, aufgrund seiner Grösse, vielleicht auch nur, um Sympathie und Aufmerksamkeit zu unterstreichen, die er mir entgegenbrachte. Dass er etwas Labiles ausstrahlte, mochte dieser Körperhaltung geschuldet sein, falls sie nicht, umgekehrt, Ausdruck einer inneren Zerbrechlichkeit war, passend zur «balkanischen Identität» der bruchstückhaften Erinnerung, des zersplitterten Lebens, fragmentarischen Vergessens und Verzeihens. Seine Stimme: weich, singend.

Einschüchternd gebildet

Sich mit ihm zu unterhalten, war ein Vergnügen. Wir sprachen über die Welt der Poesie und die Weltliteratur, über Kundera, Calvino, Tranströmer, junge und alte Philosophen, zeitgenössische Künstler – für sein Alter war er fast einschüchternd gebildet –, nicht zuletzt über europäische und balkanische Grenzerfahrungen. In allerletzter Minute hatte er das Visum für Slowenien erhalten. Und einige Monate zuvor war ihm fast die Einreise nach Griechenland verweigert worden, in das Land, das seine Vorfahren während der Balkankriege zu Beginn des vorigen Jahrhunderts als Flüchtlinge hatten verlassen müssen. Da der Staat Makedonien von den griechischen Behörden nicht anerkannt wurde, besass auch sein Pass keine Gültigkeit. Was folgte, war stundenlanges Warten, bis man ihm einen Ersatzausweis aushändigte, mit dem er die Grenze überschreiten durfte.
Ein paar Jahre später wiederum, als ich im bulgarischen Veliko Tarnovo Nikola Madzirov und seine Gedichte erwähnte, handelte ich mir einen Rüffel ein: Das Makedonische existiere gar nicht, es sei lediglich eine Spielart des Bulgarischen. Mein kluger, durchaus sympathischer Gesprächspartner, ein Radiojournalist, konnte es sich nicht verkneifen, einen geschmacklosen Witz zum Besten zu geben: «Was ist ein Makedonier, der sich gewaschen hat? – Ein waschechter Bulgare!» Erneut stellte ich fest, dass die kollektive Identität auf dem Balkan (freilich nicht nur dort) nicht selten auf den negativen Prinzipien von Exklusivität und Abgrenzung beruht, einer kulturellen Überheblichkeit, die nur die Kehrseite tief reichender Minderwertigkeitsgefühle ist.
Hier in Medana aber waren uns keine Grenzen gesetzt. Das galt insbesondere für die Sprachen. Man wechselte von Slowenisch zu Italienisch, von Serbokroatisch zu Englisch, sprang vom Deutschen zum Spanischen, hörte finnische, isländische, rumänische Sätze und Verse. Aus all diesen Poesie-Sprachen eines glücklichen europäischen Babylon, den verschiedenen Lauten, Bilder- und Ausdruckswelten, den zu Lyrik geronnenen Geschichten und Erfahrungen waren die vorgetragenen Gedichte gemacht. Madzirovs Verse, die er mit unaufdringlicher Ernsthaftigkeit vorlas, beeindruckten mich tief. Es waren die Poeme eines sich als Weltbürger verstehenden jungen Mannes, geschult an der internationalen Dichtung, die er nicht zuletzt in seiner Arbeit als Übersetzer kennengelernt hatte, bei dieser «stillen Reise durch die Heime, in denen ich nicht zu Hause bin» (Madzirov), Verse, die jedoch den kulturellen Raum, aus dem sie stammten, nicht verleugneten. Diese Gedichte wollten Grenzen überwinden, wobei, wie es im Gedicht «Entdeckung» heisst, die erste Grenze eine zeitliche, nämlich die Geschichte selbst war: «Längst schon gehöre ich niemandem mehr / wie eine Münze, die vom Rand einer alten Ikone gefallen ist.»
«Es liegt in der Verantwortung des Dichters», sollte er später in einem Interview sagen, «auf die ‹offizielle› Geschichtsschreibung zu antworten (. . .) Ich wurde geboren an der Kreuzung zwischen historischen Schlachten, die man in dem Hof austrug, wo ich heute lebe, und dem Rätsel eines Landes, das alle Dinge umfasst, die den Menschen gehörten, die vor mir hier lebten.»
Nikola Madzirovs Gedichte, mittlerweile im Band «Versetzter Stein» auch auf Deutsch nachzulesen, reiben sich an ganz unterschiedlichen Grenzen: den europäischen Grenzen der Erwartung und den balkanischen des Schmerzes. Wenn es einmal heisst: «Wir warten auf den Wind / wie zwei Flaggen an einem Grenzübergang», spricht er die Grenzerfahrung einer Generation aus, die, ausser in Zukunftserwartung und erinnertem Schmerz zu leben, vor allem in Unsicherheit verharrt. Denn die Grenzen sind nur die eine Seite der Münze, deren andere Seite den Stempel der Unbehaustheit trägt. «. . . durch die Erzählungen meiner Vorfahren», schreibt Madzirov in einem seiner ausserordentlich dichten Essays, «habe ich begriffen, dass das Heim eine Erinnerung ist, die man nicht erben kann. Nach jedem Krieg gibt es viele verlassene Häuser, aber es gibt noch viel mehr verlassene Heime.» Madzirov, dessen Name sich vom arabischen Wort «Madziri» ableitet, einst die Anhänger Mohammeds bezeichnete und heute so viel bedeutet wie: Menschen ohne Zuhause, weiss nur zu genau, dass eine verordnete kollektive Erinnerung die «verlassenen Heime» nicht ersetzen kann.
Adam Zagajewski, der polnische Poet, schrieb über seinen jungen Kollegen: «Madzirovs Gedichte sind wie expressionistische Gemälde: voller starker, energischer Striche, sie scheinen aus der Imagination hervorzugehen und sofort zu ihr zurückzukehren, wie Tiere, die im Scheinwerferlicht eines Wagens auftauchen.» Der Beschreibung haftet durchaus etwas Paradoxes an, doch solche Widersprüchlichkeit ist eine hervorstechende Eigenschaft dieser Verse: eindrücklich und doch verschlossen, kraftvoll und zugleich fragil, auf der Suche, vorsichtig, tastend, und trotzdem von leuchtender Intensität. Souverän im Ton, zeugen sie von existenzieller Ungewissheit: «Ich lebe zwischen zwei Wahrheiten / wie eine Neonröhre, die in einem leeren / Hausflur flackert.»

Zerrissener Kulturraum

Von der verheerenden jüngsten Geschichte oder der politischen Gegenwart sprechen die Verse zwar selten («Es war Frühling, als der Besatzer / die Besitzerurkunde für das Grundstück anzündete, wo wir / Vögel, bunte Insekten und Schmetterlinge fingen» oder «Das Land, zu dem du gehörst / verrückt den Himmel mit Gesetzen»), denn der Dichter weiss, dass Poesie die Welt nicht verändert, sondern eine Welt erschafft. Doch das disparate Lexikon seiner Lyrik, die Spannung zwischen traditionellem Überschwang, der weder grosse Gesten noch grosse Worte scheut, und lakonischer Nüchternheit, das Gefälle zwischen elementar Poetischem (Natur, Sternenhimmel und Äonen) und elementar Banalem (Satellitenschüsseln, Konservendosen, Pyjamaknöpfe) spiegeln einen Kulturraum wider, der selber zerrissen und verunsichert ist, in dem «die Toten mit dem Kopf nach Osten hin begraben werden, während die Lebenden ihre Köpfe gen Westen wenden» (Madzirov). Seine Lyrik strotzt von oft erstaunlich neu, manchmal leicht angestaubt wirkenden Vergleichsmetaphern, weist eine grosse Sinnlichkeit auf, bewegt sich in alogischen bis surrealen Sequenzen.
Lange Zeit sah ich Madzirov nicht wieder, der bald Preise einsammelte (Burda-Preis 2007), auf Poesiefestivals in Asien, Nord- und Südamerika auftrat und dessen Gedichte derweilen in dreissig Sprachen übersetzt wurden. Der Zufall führte uns wieder zusammen. Beide waren wir Zaungäste einer Veranstaltung der Bosch-Stiftung in den Räumen des Literarischen Colloquiums Berlin, passenderweise zum Thema «Grenzgänger». Wir waren gerade dabei, erzählend die vergangenen Jahre aufzuholen, als ich telefonisch darüber unterrichtet wurde, dass ich in meinem Privatquartier nicht bleiben könne, mir einen anderen Schlafplatz suchen müsse. Nikola, der als Writer in Residence für das Projekt Literatur-Raum im Hotel Bleibtreu untergebracht war, bot mir sofort sein Zimmer an, er dürfe kostenlos Personen bei sich unterbringen. So waren wir erneut Zimmergenossen, diesmal in Berlin, und plauderten die halbe Nacht über unser Leben, die Welt der Poesie und die Weltliteratur, als sei nichts selbstverständlicher.

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